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Nach der Zäsur: Welches Wachstum brauchen wir?
vom 14. September 2020
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Coronavirus - Weiter wachsen um jeden Preis?
Wien (APA-Science) - Die Coronakrise hat vieles verändert, eines aber bisher nicht: Die Wirtschaft scheint auf Wachstum angewiesen zu sein, um Beschäftigung und Wohlstand zu sichern. Ob das alternativlos ist oder nicht gerade jetzt die Zeit reif für einen "Systemwechsel" ist, haben Wirtschaftswissenschaftler und eine Philosophin bei einem vom Bildungsministerium veranstalteten "Science Talk" zum Thema "Nach der Zäsur: Welches Wachstum brauchen wir?" in Wien beleuchtet.
"Die Grundfrage ist, wie wir den Wohlstand garantieren können, ohne die Umwelt zu zerstören", erklärte Harald Oberhofer von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Um das Beschäftigungsniveau zu halten, sei ein jährliches Wachstum von zwei Prozent notwendig, auch weil es durch den technischen Fortschritt insgesamt weniger Arbeit gebe. Welche Effekte ein Schrumpfen der Wirtschaft habe, sehe man derzeit ja an den gestiegenen Arbeitslosenzahlen. "Wir haben zwar ein Sozialsystem, das das Schlimmste verhindert. Aber man muss auch über die sozialen Kosten, wie etwa Depressionen, reden", so Oberhofer.
Änderungen notwendig
"Der aktuelle Wirtschaftsstil wird so nicht dauerhaft möglich sein", zeigte sich Karl Steininger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz überzeugt. Auch im Lockdown habe sich die Treibhausgasproblematik aufgrund der stark an fossiler Energie orientierten Wirtschaftsstrukturen nur wenig geändert. "Das Wachstum hat sich verlangsamt, wir sehen aber keine starke Verbesserung der Situation", sagte der Klimaökonom. Ziel müsse sein, innerhalb der ökologischen Grenzen zu wirtschaften und Expansionsbewegungen zurückzunehmen.
"Wir zerstören unter dem Diktat der Profitmaximierung die Lebensgrundlage künftiger Generationen", gab Alice Pechriggl vom Institut für Philosophie an der Universität Klagenfurt zu bedenken. Das "Dogma Wachstum" verschleiere, dass eine Veränderung möglich sei, auch wenn sich der Einzelne sehr schwer tun würde, aus dem System auszusteigen. Hoffnung mache der Protest der Jungen, hier etwas zu tun, und ihre Bereitschaft, sich beim Konsum zurückzunehmen. "Die lassen sich nicht so schnell Bedürfnisse aufschwatzen, wie das noch bei uns war", meinte Pechriggl.
Besser leben als die Oma?
"Am Ende des Tages geht es darum, ob es uns im Vergleich zur Vorgeneration oder zum Nachbarn besser geht", so Wifo-Ökonom Oberhofer. Werde der Kuchen insgesamt kleiner, sei auf eine gerechte Aufteilung zu achten, um ein größeres Gefälle zu vermeiden. Zu klären sei, erklärte Steininger, "welches Maß an Wohlstand wir haben wollen und nach welchen Kriterien wir messen, ob es uns so gut geht wie den Vorfahren". Pechriggl wiederum hat "nicht das Gefühl, dass ich besser leben muss als meine Oma".
Vielen Menschen sei in der Krise bewusst geworden, was sie wertschätzen könnten – etwa regionale Lebensmittel oder im Familienkreis zu kochen, strich Steininger hervor. Um den Wirtschaftsstil zu ändern, brauche es gemeinsame gesellschaftliche Ziele. Die Erzählung sollte lauten: "Dann geht es uns besser." So könne man einen Lebensstil entwickeln, der wesentlich dauerhafter sei als der bisherige.
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