Nachlese zum Science Talk > Was hält die Gesellschaft zusammen?
24. Jänner 2022
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Experten sehen Zusammenhalt der Gesellschaft nicht in Gefahr
Wien (APA-Science) - Im Laufe der Pandemie ist immer häufiger von einer Spaltung oder sogar von einem Zusammenbruch der Gesellschaft die Rede. Das sei derzeit nicht zu befürchten, erklärten Expertinnen und Experten Montagabend bei einer Online-Diskussion. Allerdings werde die aktuelle Entwicklung von einer zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheit, der mangelnden Toleranz von Widersprüchen und dem Rückzug in "Blasen" getrieben.
"Wir sind in politische, ökonomische und Bildungssysteme integriert, das steht nicht vor dem Zusammenbruch", erklärte Shalini Randeria, Präsidentin und Rektorin der Central European University (CEU), bei einem "Science Talk" des Wissenschaftsministeriums in Wien. Derzeit werde die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft aber stark instrumentalisiert. "Die Frage ist, wer problematisiert dieses Auseinanderklaffen? Welche Gruppen werden als bedrohlich definiert?", so Randeria, die unter anderem auf die Migrationsdebatte verwies.
Die Kunst des Kompromisses
Wichtig sei ein Leben mit der Differenz, nicht Angst. "Liberale Demokratien leben von einer Meinungsvielfalt, ausgezeichnet durch die Kunst des Kompromisses", sagte die CEU-Präsidentin. Derzeit würde, etwa vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, versucht, die Spielregeln zu ändern, um permanente Mehrheiten zu erhalten, "das sieht eine Demokratie aber nicht vor". Vielmehr brauche es eine Vielfalt von Meinungen und Debatten. Man müsse die liberale Demokratie schützen, denn wenn eine rote Linie überschritten sei, etwa durch die Gleichschaltung von Institutionen, werde es schwierig, Widerstand zu leisten.
"Wir müssen auch über Ökonomie reden. Die Frage der Anerkennung von Verschiedenheit und die Verteilung von Ressourcen hängen zusammen", erläuterte Regina Polak, Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Universität Wien. Der Unmut vieler Personen habe damit zu tun, "dass sie sich abgehängt fühlen und sich nicht im politischen System abgebildet sehen. Die holen sich über Identitätsfragen ihren Raum wieder zurück. Das ist ein Fressen für meist rechtspopulistische und nationalistische Parteien. Da muss man um Alternativen ringen", so Polak.
Rückzug in kleinere Räume
Einer Minderheit anzugehören sei der Normalfall, wenn man beispielsweise an Wertvorstellungen denke. "Die Gesellschaft ist in sich selbst hochgradig pluralisiert. Das führt zum Rückzug in kleinere Räume. Blasen nehmen zu", konstatierte die Theologin. Für die Demokratie sei das ein Problem, weil die große Mitte dadurch still wirke. Der Trend gehe zur Erzeugung von Eindeutigkeit. Die Zuordnung zu einer Gruppe mache Toleranz aber schwieriger. "Es braucht die kognitive Fähigkeit, sich eine Meinung zu bilden und aus der Perspektive von anderen nachvollziehen zu können, also die Welt mit den Augen und Ohren anderer wahrzunehmen", so Polak.
Gemeinsamkeiten könnten auch durch eine gemeinsame Identität erzielt werden, meinte Tobias Greitemeyer vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck. Stelle man nicht etwa die Affinität zu einer bestimmten Partei in den Vordergrund, sondern definiere "Österreicher" als gemeinsame Identität, fördere das den Zusammenhalt. Kooperative Medien wiederum würden das Miteinander stärken, indem sie im Konfliktfall neben den unterschiedlichen Ansichten auch auf Gemeinsamkeiten verweisen. "In der österreichischen Gesellschaft ist das Miteinander jedenfalls gut ausgeprägt", zeichnete Greitemeyer ein positives Bild.
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